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Daniel von Wachter (14.4.2016)
Analytische Religionsphilosophie („philosophy of religion“) ist die philosophische Disziplin, die Fragen über Gott und Religion untersucht. (Unten mehr zum Attribut „analytisch“.) Zum Beispiel: Gibt es einen Gott? Welche Indizien für oder gegen die Existenz Gottes gibt es? Welche Eigenschaften hat Gott? Wie ist „Gott“ zu definieren? Unter welchen Umständen ist die Überzeugung, daß es einen/keinen Gott gibt, gerechtfertigt? Unter welchen Umständen ist ein religiöser Glaube (religiöse Hingabe, Handlungen, Lebensstil) einer bestimmten Art rational? Ist ein Leben nach dem Tode möglich? Spricht die Vielheit der religiösen Überzeugungen dagegen, daß eine wahr ist? Spricht das Übel in der Welt gegen die Existenz Gottes? Welche Gründe könnte Gott für das Zulassen der Übel haben? Welche Aussagen über Gott sind analog zu verstehen, welche im normalen Sinn? Hat Gott unfehlbares Vorherwissen aller zukünftiger Ereignisse? Ist es kohärent anzunehmen, daß Gott außerhalb der Zeit existiert, und welche Gründe sprechen dafür? Wie ist Gottes Güte mit seiner Allmacht vereinbar? Wie könnte Gott sich offenbaren? Unter welchen Umständen ist etwas als Offenbarung zu erkennen?
Ferner befaßt sich die Religionsphilosophie mit Lehren, die bestimmte Religionen als offenbart ansehen, indem sie untersucht, wie diese am besten genau zu verstehen sind, ihre Kohärenz prüft und Indizien für oder gegen ihre Wahrheit sucht. Dieses Gebiet wird auch als philosophische Theologie (philosophical theology) bezeichnet. Zum Beispiel wird untersucht: Wie ist Sühne (atonement) durch Christus möglich? Könnte es eine stellvertretende Bestrafung (Calvin), eine Satisfaktion (Anselm) oder eine Wiedergutmachung (Swinburne) durch Christi Leben und Tod sein? Könnte Gott genauso gut ohne Inkarnation Menschen Vergebung und ewiges Leben schenken? Welche Theorien der Dreifaltigkeit (Trinity) sind kohärent? Wie ist die Inkarnationslehre genau zu verstehen?
Traditionellerweise rechnete man die genannten Fragen über das Wesen und die Existenz Gottes zur „Theologia rationalis“. Auch die Bezeichnung „Philosophische Gotteslehre“ wird verwendet. Nach der von Benito Pereira (1535–1610), Rudolph Goclenius (Rudolf Göckel, 1547–1628) und Ioannes Micraelius (Johannes Lütkeschwager, 1597–1658) eingeführten Unterscheidung besteht die Metaphysik aus der Metaphysica generalis (d.i. die Ontologie) und der Metaphysica specialis, welch letztere aus der Theologia rationalis, der Psychologia rationalis und der Cosmologia rationalis besteht. Nicht zur Philosophie, sondern nur zur Theologie rechnete man Erkenntnis durch spezielle Offenbarung (also insbesondere durch die als Gottes Wort verstandene und vom Neuen Testament her zu verstehende Bibel). Das heißt natürlich nicht, daß Theologie ohne Philosophie möglich wäre. Zur theologischen Ausbildung gehörte stets (im Protestantismus wohl bis ca. 1800) eine philosophische Ausbildung, denn theologische Fragen sind ihrer Natur nach philosophisch. Um ein wissenschaftlicher Theologe zu sein, muß man auch ein wissenschaftlicher Philosoph sein. Wenn man z.B. etwas genauer überlegen möchte, wie es sein kann, „daß Christus gestorben sei für unsre Sünden“ (1. Korinther 15,3), muß man sich fragen, wie jemand Schuld loswerden kann, und das ist eine rein philosophische Frage. Auch die Interpretation von „Gottes Wort“ setzt oft philosophische Annahmen voraus, die zu untersuchen sind. Das heißt nicht, daß man nicht die Bibel verstehen kann, ohne Philosophie studiert zu haben, aber um Fragen über Gott gründlich, wissenschaftlich zu behandeln, muß man philosophische Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen.
Die Frage nach der Existenz Gottes wurde nicht zur Theologie an sich, sondern zur Theologia rationalis und damit zur Metaphysik, also zur bloßen Philosophie gerechnet, denn man erkennt die Existenz oder Nichtexistenz Gottes ja nicht durch Offenbarung, sondern durch Indizien („Gottesbeweise“) oder Wahrnehmung. Im 18. Jahrhundert kam die Bezeichnung „Natürliche Theologie“ (Natural Theology) hinzu für die Untersuchung Gottes ohne Zuhilfenahme von (spezieller) Offenbarung.
Neuerdings ist die Bezeichnung „Analytische Theologie“ (Analytic Theology) hinzugekommen. Sie meint mit der analytischen Methode betriebene Theologie, will sagen, daß sie Klarheit und Genauigkeit anstrebt und, anstatt vor allem zu untersuchen, wer was wann gesagt hat, Antworten auf theologische Fragen mit Argumenten verteidigt – wobei im Unterschied zur bloßen Philosophie auch Begründungen durch Offenbarung zugelassen sind oder sogar wesentlich sind. Vgl. Journal of Analytic Theology, Innsbruck Analytic Theology Project.
Das führt uns zur Frage, was „analytisch“ heißt. Die Bezeichnung „Analytische Philosophie“ ist wohl entstanden als Name der Philosophie des logischen Positivismus (vgl. Ayers 1959 herausgegebenes Buch; auch „logischer Empirismus“ genannt), wie sie im Wiener Kreis (dessen positivistisches Weltbild im Manifest Wissenschaftliche Weltauffassung dargestellt ist) und in der Berliner Wissenschaftstheorie betrieben wurde, und der Philosophie von Bertrand Russell, George Edward Moore, Ludwig Wittgenstein, Gilbert Ryle, Gustav Bergmann und W.O.V. Quine. Typisch war für diese (vielleicht mit Ausnahme von Moore) die Behauptung, daß die philosophischen Fragen durch Untersuchung der Sprache, der Begriffe oder der Logik zu beantworten oder zu ersetzen seien („Linguistic Turn“). Weil diese Philosophen Klarheit und Genauigkeit anzustreben behaupteten und gleichzeitig wenige andere Philosophen nach Klarheit und Genauigkeit strebten und eigene Antworten gaben, wurde die Bezeichnung „analytisch“ gleichbedeutend mit „nach Klarheit, Genauigkeit und überzeugenden Argumenten strebend“. Diese Bedeutung impliziert jedoch nicht mehr das besondere Interesse für die Sprache oder andere positivistische Thesen! Auch angelsächsische Philosophen, die einer empiristischen oder linguistischen Ausrichtung mehr oder weniger fern standen (wie z.B. David M. Armstrong, 1926–2014) bezeichneten sich daher als „analytische“ Philosophen oder wurden von anderen so bezeichnet. Als nun, eingeleitet vielleicht durch Alvin Plantingas Buch God and Other Minds von 1967 und Richard Swinburnes The Coherence of Theism von 1977, sich immer mehr angelsächsische Philosophen wieder mit Fragen über Gott und Religion befaßten – welche die logischen Positivisten als „sinnlos“ angesehen hatten –, wurde diese Disziplin als „analytic philosophy of religion“ bezeichnet, um das Streben nach Klarheit, Genauigkeit und überzeugenden Argumenten auszudrücken und auch, um sich von dem abzugrenzen, was Hegel, Schleiermacher und Heidegger als Religionsphilosophie bezeichneten.
In der deutschsprachigen Philosophie eignet sich die Bezeichnung „analytisch“ außerdem zur Unterscheidung von denen, die sich auf die Philosophiegeschichte beschränken. Diese interessieren sich nur für Philosophiegeschichte oder sie meinen, philosophische Fragen seien durch die Untersuchung alter philosophischer Texte zu beantworten, oder sie meinen, Philosophie betreibe man, indem man Philosophiegeschichte betreibt, etwa weil sie annehmen, daß der Gegenstand der Philosophie der „Geist“ sei, so daß sie nicht etwa Universalien, Gott oder die Seele untersucht, sondern die Entwicklung von Gedanken. In meinem Aufsatz „Laßt uns Metaphysik betreiben! Die Beschränkung auf die Philosophiegeschichte in der deutschen Philosophie“ bezeichne ich das als die historische Schule der deutschen Philosophie.
Zum Einstieg empfehle ich, das Buch Gibt es einen Gott? (vergriffen; hier als PDF) des Oxforder ehemaligen „Nolloth Professor for the Philosophy of the Christian Religion“ Richard Swinburne zu lesen. (Englisches Original: Is There A God?).
Als nächstes empfehle ich Ihnen, in einer der vielen Anthologien mit dem Titel „Philosophy of Religion“ alles zu lesen, was Sie interessiert. Zum Beispiel:
Anders konzipiert, aber empfehlenswert:
Hervorragende Aufsätze enthält: Craig & Moreland Hg. The Blackwell Companion to Natural Theology. Zum Besten, was es über die Themen gibt, gehören Alexander Pruss' „Leibnizian cosmological argument“, Craig & Sinclair „The kalam cosmological argument“, Robin Collins „The teleological argument: an exploration of the fine-tuning of the universe“ und Timothy McGrew & Lydia McGrew „The argument from miracles: a cumulative case for the resurrection of Jesus of Nazareth“.
Im Bereich Philosophical Theology empfehle ich:
Durch eine Anthologie lernt man meist mehr als durch eine „Einführung“, aber eine Einführung kann einen Überblick über die Fragen und Auffassungen gewähren. Zum Beispiel:
Dann empfehle ich, die folgenden Bücher zu lesen:
Natürlich empfehle ich auch, alte Texte zu lesen, insbesondere:
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